Himmelsboten

Eben noch hatte Mondblume das Kaminzimmer verlassen um sich zur Ruhe zu begeben.
Ich blickte wieder zum Kamin vor dem ich auf der Bank saß und streckte die Hände aus, die Wärme tat gut. Ein paar Momente wollte ich mir noch gönnen, bevor ich mich meiner arkanen Rüstung entledigen wollte um mich hier auf der Bank im Kaminzimmer niederzulegen. Es machte mir nichts, ich war schlimmeres gewohnt.

Das Kaminfeuer prasselte nur noch leise, war im herunterbrennen begriffen.
Ich war überrascht gewesen von meiner Offenheit Mondblume gegenüber, als ich ihr einen Teil meiner Gedanken am heutigen Abend erzählt hatte. Das war sonst nicht meine Art. Veränderte ich mich, sollte ich zu dem werden was ich nicht wieder sein wollte? Zuviel war auch in den letzten Tagen passiert. Ich drehte den Kopf im Genick, wie um ihn frei zu bekommen, strich mir mit beiden Händen durch die Haare, stütze meine Unterarme auf die Oberschenkel und schaute in die Flammen.

Erst das "Erbe" von Rak Knar, er hatte einen Brief bekommen in dem stand das jemand aus seiner Verwandschaft ums Leben gekommen sei und er der gesetzliche Erbe war. Es hörte sich so leicht an als er mich bat die "Sachen" beim Ältesten der Chimären für ihn abzuholen. Ausweisen sollte ich mich mit einem Medaillon welches mich als seinen Vertreter auswies. Ich hatte es ihm noch nicht zurückgegeben.

Es aus der Tasche holend hielt ich es in meiner Hand. Bronzefarben, es passte bequem in die Handfläche, mit Runen die ich nicht lesen konnte auf beiden Seiten verziert, einen seltsamen, stumpf aussehenden Stein in der Mitte beherbergend. Was es wohl bedeutete, oder gar vermochte?

Es wieder einsteckend erinnerte ich mich. Was bekam ich als ich mich auswies? Eine junge Vulperine, mager, ausgehungert, schutzlos, einsam, mit tränenspuren im schmutzigen Gesicht, vieleicht an die 5 Sommer alt. Fenella, Feni genannt...
Leise auflachend schüttelte ich den Kopf. Da war ich nun, selbstsicher, kampferprobt, und wusste nichts mit einem Kind anzufangen.

Ich war so sicher gewesen auf meinem neuen Weg; zurückgekert aus der Leere hatte ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an mein Leben davor. Diese waren mit einem großen, sehr großen Schmerz verbunden. So groß das mein Verstand davor scheute hineinzuschauen. Ich wusste nur das es nicht mit dem Tod eines geliebten Lebensgefährten zu tun hatte. Nicht so wie bei Inghean...
Versagt hatte ich, das wusste ich noch, grausam versagt. So sehr versagt das ich mich weigerte meinen wahren Namen zu nennen, aus Angst man könne sich daran erinnern. Meine Fäuste ballten sich unwillkürlich bei dem Gedanken daran, Schuld und Wut überkamen mich.

Ich kniff die Augen zusammen. Dieses sollte nie wieder geschehen! Ich wollte nicht wieder versagen. So machte ich mich hart, so hart es nur ging um dieses Gefühl nie wieder zu erleben! Die Wraith waren Schuld an diesem Schmerz und darum bekämpfte ich sie mit allem was ich hatte und es war gut so! Sie waren die Ursache dafür und ich wollte sie auslöschen! Es war einfacher nichts zu fühlen, keine Verantwortung zu tragen, nur zu kämpfen! Meine Kiefermuskeln spannten sich an als ich die Zähne zusammen biss. Es kostete mich eine kleine Weile um mich zu beruhigen als die Gedanken daran mich wieder zu überwältigen drohten.

Als ich Fenella nach einigen Wirrungen und Irrungen in das Heim der Windboten gebracht hatte, eröffnete mir Garador das die mänlichen Vertreter der Chimären wenig bis garnichts mit der Kindererziehung zu tun hatten. Da stand ich nun mit meinem Talent. Dazu kam das Fenella bereits ihr Herz an mich gehängt hatte und nicht mehr von meiner Seite wich. So konnte ich nur auf SweetScorns Hilfe als weibliche Vulperine bei der Erziehung hoffen...

Ich warf einen letzten kleinen Scheit ins nahezu verloschene Feuer, Funken stoben aus der Glut auf.
Im Verlauf des Abends, als alle Fenella kennengelernt hatten, in einem emotional sehr angespannten Moment, verhalf mir Garador, sicherlich ohne es zu Wissen, zu einem weiteren Stück meiner Erinnerung. Es war nicht ein einzelner Mensch, nein, es war eine Gruppe gewesen um die es ging... Eine Gruppe die mir so viel bedeutet hatte, das der Schmerz des Verlustes und des Versagens es geschafft hatte, sogar bei dem Weg aus der Leere, in meinem Gedächtnis zu bleiben.

Sacht den Kopf schüttelnd musste ich vor mir selbst zugeben, das es wohl zwecklos war zu hoffen das niemand es bemerken würde das es Fenella gelang meinen Panzer, der alles so einfach für mich machte, zu erweichen. Ohne das ich wusste was ich dagegen tun konnte, riss sie mit ihrem Wesen, mit ihren großen Augen die mich voller Vertrauen anschauten, eine Mauer nach der anderen ein. Sie berührte mich in meinem Innern auf eine Art und Weise die mich hilflos machte. Ich wusste das es gefährlich für mich war so zu empfinden, es macht mich wieder angreifbar und verletzbar. Wollte ich das zulassen?

Es schien alles so einfach zu sein wenn sie mit Gold in der Stimme lachte und "Onkel Raven, Onkel Raven..." rief. Es wischte alles beiseite und man konnte sich nur mit ihr freuen und sich von ihrer Lebensfreude anstecken lassen. So wie heute als endlich Mushu, ihr kleiner Nili, schlüpfte. Was für ein Trubel war hier im Haus gewesen. Ein lächeln überzog mein Gesicht als mir die Bilder daran durch den Kopf gingen.

Zum Glück standen Mondblume und SweetScorn Fenella hilfreich beiseite beim schlüpfen und zu guterletzt, nach fütterung und waschung, schlief nun Mushu in einem Körbchen neben Fenella, in meinem Bett. Ich schüttelte lächelnd den Kopf, soweit war es schon gekommen mit mir.

Doch auch Unruhe hatte mich ergriffen am späteren Abend, als Fenella im Bett war, es kam wieder Verantwortung auf mich zu. Verantwortung für dieses junge blühende Leben welches so plötzlich in mein Leben getreten war und alles im Sturm umwarf. Wenn Mushu Fenella begleiten konnte, und das würde bald sein, würde Fenella uns zur Seite stehen wollen. Und das war gefährlich, Kleriker, Tränke, Schutzzauber hin oder her, es blieb gefährlich. Wollte ich wieder Verantwortung übernehmen? Wieder fühlen wie jemand vor Schmerz schrie wenn er verletzt wurde, gar unter den Klauen der Wraith starb? Eiseskälte kroch meinen Rücken empor, trotz der Wärme die die letzten Flammen des fast schon erloschen Kamins noch ausstrahlten.

So hatte ich Mondblume und SweetScorn das Verprechen abgenommen Fenella zu beschützen und für sie da zu sein, wenn ich fort war, oder schlimmer, falls ich nicht mehr sein sollte; notfalls mit ihrem Leben. Ein tiefer Blick des Einverständnisses hatte dieses Versprechen besiegelt.

Einerseits war ich froh um jede Schicht Panzerung die Feni von meinem Herzen schälte, sie gab mir einen neuen Blick auf das Leben. Doch andererseits fragte ich mich ob diese Aufgabe nicht zu groß für mich war.

Meine Rüstung knarrte leise als ich im letzten Schein der verlöschenden Glut aufstand und mich reckte. Langsam löste ich Schnalle um Schnalle, Band um Band, meiner magisch gehärteten Rüstung und entkleidete mich. Schutzlos stand ich nun in der Dunkelheit des Kaminzimmers.

Mit einem unsicheren lächeln, entsagungsvoll, warf ich einen langen Blick durch die Dunkelheit an die Decke und flüsterte leise: "Ist es das was du für mich geplant hast Pan Gu?"